Trigger Warnung: Der folgende Inhalt enthält Erzählungen von Selbstverletzung, einschließlich Haare ausreißen, Ritzen, sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch. Sowie Erzählungen von Mobbing, Suizidgedanken und Essstörungen.
Diese Themen könnten belastend sein und könnten bei manchen Personen unangenehme Gefühle oder Erinnerungen hervorrufen. Bitte nehme dir die Zeit, zu überlegen, ob du dich darauf einlassen möchtest, und suche gegebenenfalls Unterstützung, wenn du dich damit unwohl fühlst.
Trankskript des Interviews
Welche Diagnose wurde bei dir festgestellt?
Generell ist Borderline eine Emotionsregulationsstörung, das bedeutet, dass man Emotionen nicht so gut regulieren kann, eben dass man Emotionen nicht so gut regulieren kann, bzw. es nie wirklich gelernt hat oder wenig gelernt hat, wie es in meinem Fall ist.
Ja, also, grob kann man es glaube ich erklären, dass zum einen Emotionen sehr viel intensiver wahrgenommen werden als beim Durchschnittsmenschen. Und wenn man sich überlegt, dass man über den Tag mal so eine Kurve zeichnet und man jede Stunde mal ein Kreuz macht, wo es ungefähr geht, auf einer Skala von 0 bis 100, dann ist es völlig normal, dass es mal schwankt über den Tag, weil Dinge passieren und Menschen darauf reagieren. Aber eben bei einer Person mit Borderline sind diese Schwankungen sehr viel stärker.
Also, es war schon nicht einfach, weil es war so ein Brocken irgendwie. Persönlichkeitsstörung ist halt schon noch mal was anderes als nur eine depressive Episode, wie ich damals gedacht habe, oder gehofft habe. Die Diagnose stand schon im Raum, aber als sie dann gesetzt wurde, war das schon irgendwie noch mal schwierig, aber auch erleichternd, weil ich dann schon mehr verstanden habe, was mit mir ist und waru m es mir immer wieder schlecht geht. Das war lange Zeit, ja, das war lange Zeit, was ich nicht verstanden habe, warum scheinbar nichts passiert und ich trotzdem immer wieder depressiv werde.
Würdest du uns mehr über dich und deine Geschichte erzählen?
Damals war die Idee noch, ja, wir machen jetzt einmal stationär, um so einen bisschen auch guten Grundstein zu legen, dass ich dann voll durchstarten kann im Studium. Ja, es hat sehr gut geklappt. Der Aufenthalt an sich war aber gar nicht schlecht. Da bin ich auch zum ersten Mal mit DBT in Kontakt gekommen, das ist eine Therapie, die speziell auf Borderline entwickelt wurde oder für Borderline entwickelt wurde. Und genau damals war die Diagnose vielleicht mal angedacht, aber ich war noch zu jung, als dass man das überhaupt wirklich diagnostizieren kann und möchte. Genau, aber sie haben auch gesagt, das muss nicht sein, kann einfach auch von dieser Therapieform profitieren, und das war auch soweit gut. Ich hatte so meine Themen, gerade die der Grundschulzeit, bin ich angegangen, hab die ein bisschen bearbeitet und war auch relativ stabil wieder, als es auf die Entlassung zuging. Aber dann war es so, dass in der Gruppentherapie eine Mitpatientin ein Thema angeschnitten hat, was bei mir eben auch sehr viel aufgerühlt hat, und ich wollte es eigentlich gar nicht weiter auspacken, weil ich eben erstmal jetzt mit dem einen abschließen wollte. Und dann, es ging auf die Entlassung zu, es hat so nicht geklappt, und dann war ich irgendwie mit zwei Themen, die so teilweise offen noch waren, bin ich dann rausgegangen, und das war einfach zu früh. Ich bin danach super schnell wieder in der Krise gefallen.
Und ja, auch das Studium hat dann mich nicht wirklich rausholen können. Ich habe in der Zeit die HdM gefunden, an der wir jetzt auch sind, genau, und mich auf audiovisuelle Medien beworben. Das studiere ich auch derzeit immer noch, aber es war auch Corona, da war nichts vor Ort. Ich hatte meine Wohnung hier schon, hab ich auch mit meinen Mitbewohnern super verstanden, aber ich hatte halt noch kein Sicherheitsnetz hier, keine Therapeuten, keinen Psychiater, keine Freunde, auf die ich mich, also über die ich mit solchen Sachen schon reden kann, und es war eh online, der Unterricht war eh online. Also bin ich wieder nach Thüringen gegangen, weil ich habe es versucht, eine Woche hier zu sein, und das war zu dem Zeitpunkt die schlimmste Woche meines Lebens. Ich hatte auch da wieder mit Suizidgedanken und selbstverletzendem Verhalten zu tun, und ich hatte wirklich Angst, dass ich es nicht schaffe, wieder nach Hause zu gehen. Also Ende 2021, ja, hab lange noch gehofft, dass ich irgendwie das Semester wieder aufholen kann, aber ja, nach zwei Wochen habe ich schon nicht mehr an Vorlesungen teilnehmen können, und habe mich dann von einer Prüfung abgemeldet und gesagt, okay, ich muss wieder in die Klinik, ja. Also ich bin nicht mehr aus dem Bett gekommen, es ging gar nichts mehr. Also ich habe das Bett nur noch verlassen, um mir Alkohol zu kaufen. Hatte teilweise sogar Halluzinationen, also so komische Sachen gehört. War keine schöne Zeit, aber ich habe es überlebt und bin dann nach Bad Cannstatt auf die Psychiatrie, ist gekommen und wurde von dort auf die Psychosomatik verlegt, und das hat zum ersten Mal, also der Aufenthalt, hat richtig, richtig gut geholfen, so dass ich danach wirklich mal so stabil war, dass ich das Studium auch mal anfangen konnte, ein Jahr später. Und habe dann tatsächlich mal angefangen zu studieren, wo ich dann auch super, super tolle Leute kennengelernt habe, meine besten Freunde, unter anderem, also zwei meiner engsten auf jeden Fall.
Und ja, ich habe auch gemerkt, dass das Studium das Richtige ist, weil es macht Spaß, ich interessiere mich für die Sachen, und dieser Aufenthalt mich noch mal gut stabilisiert hat. Und dann hatte ich 2023 also wirklich den schönsten Sommer meines Lebens bis jetzt [Sprecherin klopft auf das Holz des Stuhls], was aber wirklich eine tolle Erfahrung war, weil ich nicht gedacht hätte, dass es mir überhaupt mal wieder gut gehen kann. Ich habe also nicht mal mehr den Weg gesehen, ist noch zu schön eigentlich. Ich wusste gar nicht mehr, wie ich irgendwie aus diesem Loch rauskommen konnte, und von sowas dann in nur zwei Jahren dann zu dem wirklich, wirklich schönsten Sommer war schon toll, ja.
Dann Ende des Jahres habe ich mir dann das Bein gebrochen, just things, aber ja, also das sind noch so ein paar andere Sachen, waren Katalysatoren dafür, dass ich halt aufgehört habe, Alkohol zu trinken, was ein sehr wichtiger Schritt war für mich. Ich habe es mir lange nicht eingestehen können, aber ich habe schon ein Problem mit Alkohol, und bin auch sehr froh, dass ich davon jetzt weggekommen bin. Ja, weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber jetzt bin ich erstmal weg davon, und das ist auch gut so.
Was war Alkohol für dich?
Im Prinzip war Alkohol einfach ein Betäubungsmittel, um mich nicht spüren zu müssen. Ich glaube, das ist auch immer noch das Schwierigste für mich, mich selbst auszuhalten. Im Sinne davon, dass ich spüre, was in mir vorgeht, an Gedanken, an Gefühlen. Das habe ich irgendwie nie wirklich gelernt, und mit Alkohol war das alles ein bisschen weggedröhnt, oder zumindest überdröhnt mit einem anderen Gefühl. Und klar, ich hatte auch betrunken nicht so schöne Phasen und auch mentale Breakdowns und Panikattacken und all so was, aber es war immer noch leichter, außerhalb war, als dauerhaft zu spüren, was irgendwie in mir ist. Und deswegen bin ich auch, also bin ich mir auch sicher, dass ich diesen Schritt nicht eher hätte gehen können, hätte ich nicht diese ganzen Aufenthalte und Therapien gehabt.
Ja, aber all das, was so in mir gewühlt hat oder wühlt, ist ja nicht einfach weg, und auch wenn ich es dann eingesehen habe, ich habe nicht gewusst, wie viel ich damit ausblende, versuche auszublenden. Ja, und hat dann, also ich habe mich eigentlich richtig auf das Semester gefreut, was dann kam, das Wintersemester 2023, aber meine Psyche ging dann wieder weg ab, weil alle diese Sachen wieder hochkamen, so dass ich es gar nicht kontrollieren konnte. Also es war nicht Sachen, die ich vergessen habe, aber einfach die Tragweite von dem, was mir über die Jahre passiert ist, also nicht nur in meiner Kindheit, dann auch über diese Jahre, wo es mir so extrem schlecht ging.
Ja, ich wusste schon, dass es so schlimm ist, aber ich habe es glaube ich mir selbst auch nie so geglaubt, also zumindest nicht in dem Ausmaß. Und dann habe ich etwas Neues angefangen, was mir auch sehr Angst gemacht hat, weil alles andere, egal wie schlecht die Verhaltensweisen waren, kannte ich zumindest von mir. Also, ob es jetzt Selbstverletzung durch Schneiden war, ob es der Alkohol war, ob es Cannabis war, Essen in jeglicher Form, ob zu viel oder zu wenig, das war alles nicht schön, aber ich kannte es. Und zu dem Zeitpunkt, also mittlerweile weiß ich auch so ein bisschen, was dahinter steckt, wenn diese Sachen wieder auftreten.
Aber ja, nachdem ich mit dem Alkohol aufgehört habe, habe ich angefangen, mir die Haare auszureißen, was auf mehreren Ebenen nicht schön ist, weil es hat sich bei mir sehr rapide entwickelt, so dass ich also dann halt auch nur noch Mützen getragen habe, weil es war nicht zu übersehen. Sehr schnell, und meine Haare waren auch immer und sind auch immer noch mir sehr wichtig. Die waren auch viel wie ein Vorhang, also wie ein Schutzschild eigentlich, hinter dem ich mich immer so ein bisschen verstecken konnte. Und ich habe nicht verstanden, warum ich die angefangen habe auszureißen. Also ich verstehe schon, aber ich habe mich viel dafür gehasst, warum gerade meine Haare, warum ich mich schon wieder so kaputt mache?
Hatte wie immer trotzdem die Hoffnung, dass ich das Semester noch schaffe, und bin dabei immer weiter in eine Krise gerutscht. Es aber, wie ich das so mache, gut vor anderen versteckt, weil das war was Neues, damit wusste ich noch nicht umzugehen. Ja, dass es mir schlecht ging, habe ich schon gesagt, aber wie viel ich gestruggelt habe, das hat mir glaube ich einfach auch Angst gemacht, und ja, ich wollte es nicht zugeben.
Ja, ich hatte dann Ende des Jahres endlich mal eine ambulante Therapeutin, wo ich dann aber schon gemerkt habe, wir schaffen es gar nicht, uns kennenzulernen. Es gibt diese Kennenlernsprechstunden am Anfang, weil ich so viele Themen habe, so viel Leidensdruck in so vielen verschiedenen Ebenen, ich gar nicht weiß, wie ich anfangen soll. Und wir haben dann eben gesagt, dass ich mir wieder einen Termin in der Klinik in Bad Cannstatt ausmachen, damit ja, wir gucken, ob eventuell ein Aufenthalt wieder, wie das Jahr davor in den Semesterferien, Sinn macht. Und meine Therapeutin von der Station hat den bei dem Gespräch dann gemerkt, wie schlecht es mir geht, und hat gesagt, es wäre vielleicht besser, wenn ich gleich dableibe.
Es macht mich immer noch sehr traurig, dass ich schon wieder nicht weiter studieren kann, aber besser als, besser als nicht mehr zu leben. Da kann ich auch nicht studieren. Deswegen bin ich auch jetzt gerade noch stationär. Ich werde am Freitag entlassen, aber es wird dann trotzdem nicht gleich weitergehen mit dem Studium. Steht jetzt an, dass ich auf eine DBT-Station gehe, also zwar war ich auch in der ambulanten Skillsgruppe und auch meine ambulante Therapeutin ist auf Borderline spezialisiert, aber im stationären Setting hatte ich das noch nie, zumindest doch ich ganz am Anfang mal, aber da war ja noch, ja, aber dass ich wirklich mal ein Team drum kümmern kann, dass die Krankheit auch versteht, und ich hoffe, hoffe, hoffe, dass ich dann mal eine gewisse Grundstabilität reinkriege.
Ja, mal gucken. Schritt für Schritt. Auch wenn ich es hasse.
Was würdest du anderen mit auf den Weg geben?
Es ist nie zu früh, sich Hilfe zu holen. Glaub, das ist was, was ich immer noch lernen muss. Also das Schlimmste, was passieren kann, wenn man zu früh sich Hilfe sucht, ist, dass die Person dir sagt, „Hey, ist vielleicht gerade gar nicht das, was du brauchst.“ Aber dann weißt du es von jemandem, der Ahnung hat, und ansonsten kriegst du Hilfe, und das ist echt gut und das ist echt wichtig. Weil es muss nicht schlimmer werden, du musst es nicht alleine durchmachen, und es hilft auch nicht, sich mit anderen zu vergleichen, in meiner Erfahrung zumindest. Weil es gibt immer jemanden, dem es schlechter geht. Aber ja, man geht zum Arzt, wenn man sich das Bein gebrochen hat, weil man sich das Bein gebrochen hat, und man geht dann nicht hin, weil jemand anderes das Bein vielleicht komplett verloren hat. Also das Gleiche gilt bei psychischer Gesundheit.
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„Es macht mich immer noch sehr traurig, dass ich schon wieder nicht weiterstudieren kann… aber, besser als nicht mehr zu leben…, i guess…[dann] kann ich ja auch nicht studieren“
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